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Stuttgarter Zeitung Nr. 137, 17. Juni 2003, S. 8

Muss eine Frau jeden Monat eine Regelblutung haben?
Neue Pille auf dem US-Markt verlängert den Zyklus auf drei Monate – Bisher keine wissenschaftlichen Studien zur Unbedenklichkeit.
Manche Mediziner sind der Ansicht, dass Frauen, die mit der Pille verhüten, sie nicht jeden Monat absetzen müssen, um eine Regelblutung auszulösen. In den USA kommt die erste Pille auf den Markt, die den Zyklus auf drei Monate ausdehnt. Hat das wirklich nur Vorteile?

Von Peter Spork

“Schön wäre es schon”, reagiert die leicht verunsicherte, 35 Jahre alte Pillenbenutzerin auf die Frage, ob sie mit dem Verhütungsmittel nicht auch gleich ihre Regel abschaffen wolle. “Aber geht das denn wirklich?” Immerhin habe eine Freundin das Verhütungsmittel schon mal den fünfwöchigen Traumurlaub unbeschadet “hindurch genommen”, um Kopfschmerz und Schlappheit zu entgehen. Und viele Sportlerinnen würden ihren Zyklus angeblich per Pille an den Wettkampfplan anpassen. Über solche Fälle wollten aber noch nicht einmal die Frauenärzte sprechen.

Zumindest in Expertenkreisen wird das Thema jedoch seit einigen Jahren diskutiert: Zuletzt fragten Gynäkologen auf dem Menopause-Kongress in Wien, wie nötig die monatliche Blutung in Zeiten der Antibabypille sei. “Wenn eine Frau nicht schwanger werden will, ist ihre Menstruation zu keinem Zeitpunkt notwendig oder sinnvoll”, vertrat Rolf-Dieter Hesch, Endokrinologe an der Universität Konstanz, eine provokante These.

Es sei ein unnatürlicher Zustand, das Frauen 13-mal im Jahr bluteten: “In der Natur ist die Frau entweder schwanger oder sie stillt. Evolutionsbiologisch gesehen ist die Menstruation kein physiologisches Dauerereignis.” Damit spielt er auf anthropologische Studien der 80er Jahre an, die zeigten, dass in Völkern, die keine Verhütung kennen, Frauen im Mittel nur 100 Blutungen im Leben haben, Frauen in der westlichen Welt jedoch 400.

Hesch hat schon vielen Frauen mit Hormonen zu einem Leben ohne Regel verholfen – sogar solchen, die vorher gar nicht die Pille nahmen. Im demnächst erscheinenden Buch “Absolut Frau” (Knaur-Verlag) beschreibt er das in seiner Praxis entwickelte Konzept: Zuerst gibt er für drei Monate die normale Pille, um den Körper an die Hormongabe zu gewöhnen und das Risiko von Zwischenblutungen zu verringern. “Ab dem vierten Monat reduziere ich die Dosis und gebe die Hormone regelmäßig.” Die Hormonmenge im gesamten Monat bleibt unverändert, die Monatsblutung fällt jedoch aus. Viele Ärzte distanzieren sich jedoch davon, die Tage sogar bei Frauen zu unterdrücken, denen sie keine gesundheitlichen Probleme bereiten.

Die US-Firma Barr Laboratories kündigte dessen ungeachtet noch für dieses Jahr die Zulassung von “Seasonale” an. Dieses Präparat unterscheidet sich nicht von gewöhnlichen Pillen – nur wird die künstliche Blutung nicht alle 28 Tage, sondern alle drei Monate ausgelöst. Europas Marktführer für hormonelle Verhütungsmittel, die Berliner Schering AG, strebt keine Zulassung eines solchen Mittels an, versichert Alexander Rübig, Gynäkologe und Mitentwickler neuer Schering-Pillen. Natürlich beschäftige man sich mit dem Thema, seit man 1961 die erste deutsche Pille auf den Markt brachte.

“Damals schien es jedoch wichtig, so wenig wie möglich in den Zyklus der Frau einzugreifen.” Deshalb mache die klassische Pille einmal im Monat für sieben Tage Pause. Laut Rübig ist es seit etwa zwei Jahrzehnten “gynäkologisches Allgemeingut”, dass einige Frauen die Pause gelegentlich übergehen: Eine “hohe Dunkelziffer” wolle wichtige Termine Regel-frei planen. In einer europaweiten Umfrage fand Schering heraus, dass etwa ein Drittel der Frauen bereit wären, die Pille pausenlos zu nehmen. Beim prämenstruellen Syndrom, bei dem Frauen einige Tage vor den Tagen unter Unterleibsschmerzen und Verstimmungen leiden und auch bei der zyklusabhängigen Migräne, bei der die Menses von heftigen Kopfschmerzattacken begleitet werden, würden Ärzte, so Rübig, zum künstlichen Verlängern des Zyklus raten.

Derzeit führt Schering eine Studie mit mehreren hundert Probandinnen durch, die die Pille erst nach drei, sechs, neun oder zwölf Monaten absetzen. 2004 sollen die Resultate publiziert werden. Rübig zufolge fehlen bisher wissenschaftliche Daten darüber, was passiert, wenn Frauen die Pille im so genannten “extended regimen” einnehmen. Wie wichtig Aufklärung ist, weiß Rübig aus der eigenen Praxis: “Es ist überhaupt nicht vorhersehbar, ob und wann eine Frau, die die Pille durch nimmt, Schmierblutungen bekommt.” Diese könnten nach wenigen Wochen, aber auch erst nach 15 Monaten auftreten. “Das ist unbedenklich, die Frau muss dann nur die Pille für sieben Tage absetzen, was eine richtige Entzugsblutung auslöst.”

Barbara Wanner, Hormonexpertin und niedergelassene Ärztin in Zürich, wittert hinter der Diskussion um den Sinn der Regel eine gezielte Manipulation der Frauen durch die Pharmaindustrie: “Wenn man den Frauen jetzt in die Köpfe setzt, es sei ganz normal, keine Mens zu haben, dann akzeptieren sie es später eher als Begleiterscheinung eines Verhütungsmittels.” Misstrauisch macht sie, dass die Diskussion zur gleichen Zeit auflebte, als die ersten hormonellen Verhütungsmittel auf den Markt kamen, die dauerhaft Substanzen aus der Gestagenfamilie abgeben, etwa die Hormonspirale Mirena, das implantierbare Stäbchen Norplant oder die Dreimonatsspritze Depo-Provera. Diese Mittel bewirken häufig ein Ausbleiben der Blutung und es sei im Interesse der Hersteller, diese Begleiterscheinung in einem guten Licht erscheinen zu lassen.

Für die Zürcherin ist es zudem bedenklich, dass einmal mehr ein normaler Prozess – die monatliche Blutung – zu einem unnatürlichen, fast schon krankhaften Geschehen umgedeutet wird. “Heute gehört es zu den Marketingstrategien, neue Krankheitsideen zu verbreiten, um Bedürfnisse für bestimmte Pharmaprodukte zu erzeugen.” Bisher habe keine Langzeitstudie die Unbedenklichkeit eines pausenlosen Pillenkonsums belegt. “Woher weiß ich zum Beispiel, ob nicht doch das Risiko für Krebs des Gebärmutterkörpers oder für Osteoporose steigt?” Wanner ist “absolut dagegen”, auch Frauen ohne Regelprobleme zu Kandidatinnen für den ununterbrochenen Hormonkonsum zu küren.

Es sei absurd, bei jungen Frauen den Östrogenspiegel zur Regelverhütung zu senken, um ihn nach der Menopause zur Vorbeugung vor Alterskrankheiten künstlich wieder anzuheben, spielt sie auf die gängige Praxis der Hormonsubstitution nach den Wechseljahren an. Bei Frauen, die ein wirkliches medizinisches Problem mit den Tagen hätten, sei es etwas ganz anderes: “Bei Kopfschmerzen in der Pillenpause oder sehr starken Menstruationen ist es sinnvoll, den Zyklus zu verlängern. Zyklen, die sechs bis acht Wochen dauern, gibt es ja auch ohne Pille.”

Der Endokrinologe Hesch verordnet für den verlängerten Zyklus Östrogen und Gestagen – die Hormone der klassischen Antibabypille. Östrogene bereiten in der ersten Hälfte eines Zyklus die Gebärmutterschleimhaut für die Einnistung des befruchteten Eis vor. Gestagene sind künstliche Formen des Progesterons, das die Schleimhautbildung bremst und dafür sorgt, dass eine Schwangerschaft aufrechterhalten wird. Kombiniert verhindern die Mittel die Reifung des Eis und den Eisprung. Diese Hormone unterdrückten schon jetzt den natürlichen Zyklus der Frau, sagt Hesch. Deshalb sei die Sorge vor einem erhöhten Krebsrisiko durch die Regelunterdrückung unbegründet. “Die Pillenhormone setzen wir inzwischen 40 Jahre lang ein. Im Prinzip sind alle Probleme, die es damit gibt, diskutiert”, meint er. Viele Periodengegner sind überzeugt, mit der Senkung ihrer Blutungszahl reduzierten Frauen auch ihr Risiko für Krebs an Brust, Gebärmutter und Eierstöcken. Belegt ist diese Theorie jedoch nicht.

Etzel Gysling, Herausgeber des Schweizer Fachblatts “pharma-kritik”, ist folglich weitaus vorsichtiger als Hesch: “Es ist nicht bekannt, ob die vermuteten Vorteile nicht durch Nachteile erkauft werden, die wir heute nicht abschätzen können.” Die Folgen der Abschaffung der Regelblutung müssten “mit größter Sorgfalt und auch längerfristig untersucht werden”, sagt der Pharmakologe aus Wil im Kanton St. Gallen. “Die Erfahrungen mit der Hormonsubstitution nach der Menopause sollten uns da eine Lehre sein.” Im Juli 2002 wurde die bisher größte Studie zur Hormontherapie an 16 000 Frauen vorzeitig abgebrochen. Es hatte sich herausgestellt, dass die Hormone, die Frauen jahrelang einnahmen, um Alterskrankheiten vorzubeugen, eher das Gegenteil bewirkten. Die Zahl der Schlaganfälle, Herzinfarkte und Brustkrebse hatte zugenommen. Und, wie erst jetzt publizierte Daten zeigen, stieg unter der Hormonbehandlung sogar das Demenzrisiko.
© Peter Spork

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