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Süddeutsche Zeitung Nr. 106, 9. Mai 2000, S. V2/11

Deutsche Solarien am Pranger
Immer mehr Menschen erkranken an Hautkrebs – nicht selten, weil sie zu viel auf Sonnenbänken schmoren

Von Peter Spork

Im künstlichen Sonnenbaden sind die Deutschen Europameister. Drei Milliarden Mark tragen sie jährlich in Solarien – das sind 40 Prozent des Umsatzes, der in Europa mit den blau schimmernden Kunststoffsandwichs gemacht wird. Die meisten Kunden wollen sich wohl fühlen, ausspannen und braun werden. Doch reichlich UV-Strahlung erhöht das Risiko, 15 bis 40 Jahre später an Hautkrebs zu erkranken.

Fatalerweise ist in deutschen Solarien die Gefahr besonders groß. Denn wer hier zu Lande ein Studio betreibt, muss kaum Vorschriften einhalten. Dies müsse sich ändern, forderte Wolfgang Kemmer vom Bundesumweltministerium letzten Donnerstag in Hamburg während eines Seminars der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Nutzen und Gefahren von Solarien. Ein Gesetz oder bindende Vereinbarungen zwischen Betreibern, Herstellern, Behörden und Hautärzten müssten für Mindeststandards sorgen, so Wolfgang Kemmer.

Das WHO-Treffen fand während eines Kongresses der Europäischen Gesellschaft für Hautkrebsprävention (Euroskin) statt, die einheitliche Vorsorgemaßnahmen zum Ziel hat. Denn alle 10 bis 15 Jahre verdoppelt sich die Zahl der Hautkrebsfälle in Europa. Derzeit trifft die Diagnose jährlich 100 000 Deutsche. Bundesumweltminister Jürgen Trittin führt die „alarmierenden Zahlen“ auf das veränderte Freizeitverhalten zurück: zu viele und zu heftige Sonnenbäder, am Strand wie in Solarien.

Die meisten Hautkrebsformen sind zwar eher harmlos. Doch auch der gefährliche „schwarze Hautkrebs“, das maligne Melanom, tritt immer häufiger auf – zurzeit knapp 7000-mal pro Jahr. Entscheidend ist eine frühe Entdeckung der bösartigen Hautveränderungen. „Dann lassen sie sich in fast 100 Prozent der Fälle heilen“, weiß Eckhard Breitbart, Vorsitzender von Euroskin. Hat das Melanom dagegen Tochtergeschwulste gebildet, tendieren die Heilungschancen gegen Null. Daher erinnert die Deutsche Krebshilfe in einer Kampagne daran, dem Arzt verdächtige Hautmale zu zeigen. Zudem bezahlen Krankenkassen ein Routine-Hautscreening, dessen Effizienz derzeit aber überprüft wird.

Wie Hautkrebs entsteht, ist bis heute unklar. Wahrscheinlich mutieren Hautzellen durch UV-Strahlen und sterben nach einem Sonnenbrand nicht mehr durch programmierten Zelltod – einen natürlichen Schutzmechanismus. US-Forscher entdeckten gerade zwei Gene, die unter extremer UV-Einwirkung diesen Zelltod einleiten und deren Ausfall Hautkrebs begünstigen dürfte (Science, Bd. 288, S. 870, 2000). Zerstörerisch scheinen beide UV-Sorten zu sein: das langwelligere UV-A, das den Hauptteil der natürlichen UV-Strahlung ausmacht, die Haut altern lässt und eine kurzfristige Bräunung hervorruft; und das UV-B, das tiefer in die Haut eindringt, die Hauptschuld an Sonnenbränden trägt und zu langfristiger Bräunung und Verdickung der Haut führt.

Dieser Schutz – Vorbräunung genannt – wird oft als einer der positiven Effekte von Sonnenbänken angeführt. Er wirkt aber nur, wenn man deutlich unter der UV-Dosis bleibt, die eine Rötung auslöst. Andere oft genannte Vorteile von Solarien überzeugen noch weniger: Für die Produktion der nötigen Tagesdosis des Knochen-Vitamins D reicht schon ein zehnminütiger Spaziergang, und um sich wohl zu fühlen brauchen Menschen sichtbares Licht und Wärme – kein UV. „Es gibt keine gesunde UV-Strahlung“, fasst Breitbart zusammen. Selbst mit der medizinischen Nutzung, etwa gegen Neurodermitis oder Schuppenflechte, gehe immer ein höheres Krebsrisiko einher.

Dennoch möchte Euroskin auch vermitteln, dass man Sonnenbäder genießen kann – „wenn man die Regeln kennt, mit denen man das Risiko minimiert.“ Diese Regeln gelten für echte wie künstliche Sonne: So sollten hellhäutige Menschen vom Hauttyp II, die zu Sonnenbrand neigen, aber auch braun werden können, nicht mehr als 50-mal pro Jahr in der Sonne baden und dabei auf eine mäßige Strahlendosis achten. Zur Orientierung dient der international normierte UV-Index: Liegt er bei 1 wie im Berliner Winter, dann rötet sich die Haut vom Typ II frühestens nach 150 Minuten; an einem perfekten Münchner Sommertag (UV-Index 8) ist ein Sonnenbrand schon nach 20 Minuten möglich, und während eines Karibikurlaubs (UV-Index 12) schon beim 5-Minuten-Sonnen-Quicky. Mit Hauttyp III kann man etwas länger sonnen.

Viele Sonnenbänke haben eine Leistung, die der Karibiksonne entspricht. „Am Anfang nicht mehr als fünf Minuten auf die Bank“, ist deshalb der wichtigste Tipp. Doch auch unter den Lampen der empfehlenswertesten Geräte – Klasse 3 der EU-Norm –, deren Strahlung dem Sonnenlicht am nächsten kommt, sollten Hellhäutige nicht länger als eine Viertelstunde verweilen. Deutschen Solarienbesuchern nützen solche Informationen indes wenig: Denn der Gerätetyp ist fast nie erkennbar. Das Personal ist selten fachkundig und weist Menschen vom extrem empfindlichen Hauttyp I meist ebenso wenig ab wie Jugendliche, bei denen Sonnenbrände das Krebsrisiko besonders erhöhen.

„Wir wollen Solarien so sicher wie möglich machen“, erklärt Michael Repacholi von der WHO. Derweil hat Frankreich längst gehandelt. Dort sind nur noch bestimmte Geräte erlaubt, die zudem angemeldet und regelmäßig überprüft werden müssen. Das Personal muss geschult sein, Minderjährige dürfen Bräunungskabinen nicht betreten und Münzstudios sind ganz und gar verboten. Allerdings erließ Paris sein Sonnenbank-Gesetz aus dringendem Anlass: 1997 mussten mehr als 100 Solarien-Kunden wegen Sonnenbrand auf Notfallstationen behandelt werden.
© Peter Spork

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