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Berliner Zeitung Nr. 39, 15.02.2012, S. 13

Tabak als Einstiegsdroge

Nikotin verändert die Molekularbiologie in wichtigen Hirnbereichen und erhöht so das Risiko, kokainabhängig zu werden.

Von Peter Spork

Nikotin verändert die Molekularbiologie in wichtigen Hirnbereichen und erhöht so das Risiko, kokainabhängig zu werden. Von der ersten Zigarette bis zur Abhängigkeit sind es nur wenige Jahre – doch nicht jeder Raucher wird Junkie.

Es ist eine klassische Drogenkarriere: mit 13 die erste Zigarette, mit 18 Kettenraucher und mit 25 kokainabhängig. Dass eine solche Entwicklung nicht nur sozial bedingt, sondern auch die Folge biologischer Prozesse ist, vermutet ein prominent besetztes Forscherteam nach seinen Experimenten mit Mäusen.

Es sei kein Zufall und habe wohl auch weniger als gedacht mit einer bestimmten Persönlichkeit zu tun, dass die meisten Kokainabhängigen zuvor Raucher waren, behaupten der US-amerikanische Neurobiologe und Nobelpreisträger Eric Kandel, seine Frau Denise und acht weitere an der Studie beteiligte Forscher.

Die Zigaretten scheinen sogar schuld an dem Zusammenhang zu sein. Das regelmäßige Inhalieren von Nikotin führt nämlich zu tief sitzenden und bleibenden Veränderungen in bestimmten Gehirnzellen. Und eben diese Wandlung bahnt einer zukünftigen Kokainabhängigkeit den Weg.

„Das Nikotin öffnet dem Kokain sozusagen Tür und Tor“, sagt der 82-jährige Kandel. Statt sich in den Ruhestand zu verabschieden hat er sich mit seiner zwei Jahre jüngeren Frau an der Columbia University in New York einer neuen Herausforderung gestellt: Sie wollen die Drogensucht enträtseln.

Epidemiologen wissen schon lange, dass kaum ein Mensch seine Sucht mit Heroin oder Kokain beginnt. Fast immer steht vor der Abhängigkeit von einer der sogenannten harten Drogen eine längere Zeit des Konsums der gesell-schaftlich weitgehend akzeptierten Drogen Alkohol und Nikotin. Die neuen Experimente zeigen jetzt, was dabei auf molekularbiologischer Ebene passiert.

Die Forscher verabreichten Mäusen entweder zunächst über längere Zeit Nikotin und dann Kokain oder umgekehrt. Ein messbarer Effekt ergab sich aber nur, wenn die Behandlung mit Nikotin begann. Ohne Vorbehandlung mit dem Zigaretteninhaltsstoff trieb der Extrakt aus Kokablättern kaum eine Maus in die Abhängigkeit. Mit Nikotin als Einstiegsdroge steigerte sich das Suchtverhalten der Versuchstiere dagegen drastisch, berichten die Kandels und ihre Kollegen im Fachmagazin Science Translational Medicine.

Auf der Suche nach den Ursachen wurden die Forscher in Nervenzellen des Striatums fündig. In diesem Bereich des Gehirns befindet sich zum Beispiel der Nucleus accumbens, der für Motivation und Belohnung eine maßgebliche Rolle spielt und bei Suchtreaktionen besonders wichtig ist.

Die Nuclei accumbentes entscheiden maßgeblich, wann das Gehirn glücklich machende Belohnungssubstanzen wie Serotonin und Dopamin ausschüttet und wie dringend es diese benötigt. Damit bestimmen sie aber auch die Intensität, mit der man nach eben dieser Belohnung strebt, wie süchtig man also ist.

Letztlich sind es die Zellen dieser Motivationszentren im Gehirn – ihre Molekularbiologie und ihre Vernetzung mit anderen Gehirnregionen – die speichern, welche unserer Handlungen eine größtmögliche und rasche Belohnung in Form einer glücklich machenden Veränderung der Hirnchemie verspricht. Das kann dann die Befriedigung klassischer Triebe wie Essen, Trinken oder Sex sein – aber auch Drogenkonsum.

Das Team um die Eheleute Kandel entdeckte nun, dass das Nikotin dieses molekularbiologische Gedächtnis der Zellen des Striatums entscheidend verändert. Der Tabak-Inhaltsstoff hemmt dort nämlich ein Enzym aus der Gruppe der Histondeacetylasen. Dabei handelt es sich um Substanzen, die bestimmte chemische Marker (Acetylgruppen) von Proteinen entfernen, um die der DNA-Strang wie um eine Kabeltrommel gewickelt ist. Ohne Acetylgruppen binden die Kabeltrommel-Proteine plötzlich besonders fest an die DNA, was einen wichtigen Effekt hat: In betroffenen DNA-Abschnitten können kaum noch Gene abgelesen werden.

Nikotin lockert also die Bindung zwischen Kabeltrommeln und DNA und macht Gene damit leichter aktivierbar. Darunter ist auch eines, das für die Kokainsucht äußerst wichtig ist, FosB genannt. Dieses Gen ist der eigentliche Vermittler der süchtig machenden Wirkung von Kokain. Denn die Droge löst das Ablesen von FosB aus, was wiederum den Beginn einer Reaktionskaskade markiert, die neuesten Erkenntnissen zufolge in der Abhängigkeit endet.

Ohne die molekularbiologische Bahnung durch Nikotin sind die Nervenzellen der Mäuse also gar nicht in der Lage, auf Kokain so zu reagieren, dass es süchtig macht. Das heißt übertragen auf den Menschen natürlich nicht, dass jeder Raucher später ein Junkie wird. Aber es bedeutet, dass gelegentliche Drogenkonsumenten ein deutlich höheres Abhängigkeitsrisiko haben, wenn sie bereits Raucher sind.

Das gleiche Resultat erzielten Kandel und seine Kollegen mit SAHA, einer pharmakologischen Substanz, die die gleichen Enzyme hemmt wie Nikotin. Nun fragen sich die Forscher, ob der neu entdeckte Mechanismus sogar übertragbar ist: Womöglich wirken über eine verringerte Acetylierung auch die anderen beiden wichtigen Einstiegsdrogen Marihuana und Alkohol. Eine Antwort erhoffen sie sich von zukünftigen Studien.

Mit den zugrundeliegenden Veränderungen auf oder neben der DNA beschäftigt sich seit einiger Zeit die Epigenetik. Sogenannte epigenetische Schalter – wie die Acetylgruppen an den „Kabeltrommeln“, die fachsprachlich Histone genannt werden – entscheiden über die Eigenschaften einer Zelle, indem sie diese regelrecht umprogrammieren. Sie verändern aber nur das Muster der Genaktivität und damit das Gedächtnis und die Identität der einzelnen Zelle, nicht jedoch die Gene selbst.

Die Epigenetik erklärt nicht nur, wie die Einstiegsdroge Nikotin funktioniert, sie macht auch verständlich, wie es überhaupt zum Suchtverhalten kommt. Mit dieser Frage beschäftigt sich seit Jahren das Team des Psychiaters Eric Nestler von der Mount Sinai School of Medicine in New York. Nestler geht davon aus, dass Sucht größtenteils ein epigenetisches Phänomen ist.

In zwei viel beachteten Studien in den Fachmagazinen Science und PNAS lieferte er die Belege dafür: Kokain verändert dramatisch und dynamisch die epigenetischen Schalter in den Nervenzellen der Motivationszentren, fand Nestler heraus. Das führe zu langfristigen Veränderungen des Gehirns und damit in die Drogenabhängigkeit.

Kandel und Nestler hoffen nun auf neue Wege zur Bekämpfung der Drogensucht. Nestler hat dabei eher eine medikamentöse Therapie vor Augen, die die Nervenzellen Abhängiger in den Zustand zurückversetzt, den sie vor der Sucht hatten.
© Peter Spork

Wie Sucht entsteht

Viele Faktoren tragen zur Suchtentstehung bei: psychische Faktoren wie ein geringes Selbstwertgefühl, soziale Faktoren wie die Familienstruktur und der Freundeskreis sowie die Zugänglichkeit von Drogen.

Biologische Faktoren spielen vermutlich eine zentrale Rolle. Kokain zum Beispiel verändert die Nervenzellen in den Belohnungs- und Motivationszentren des Gehirns, zu dem auch der Nucleus accumbens gehört. Einstiegsdrogen wie Nikotin legen die molekularbiologischen Grundlagen für diese Veränderungen.

Die Nervenzellen verzweigen sich leichter, die Fortsätze wachsen und bilden neue Kontakte zu anderen Nervenzellen – das Belohnungssystem baut sich um. Danach ist es besonders empfänglich für die Droge Kokain, zwingt den Abhängigen dazu, aktiv nach der Droge zu suchen und reagiert auf Mangel mit Entzugserscheinungen.
© Peter Spork

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