<< zurück

 


Die Zeit, 4. November 1999, S. 48

Kälte gegen Krebs
Mit neuen Methoden kämpfen Chirurgen gegen Tumore in der Leber

Von Peter Spork

Die Diagnose Brustkrebs schockte Gudrun Münchinger nicht: “Das hat meine Mutter auch überstanden.” Erst ein Jahr später “kam der Hammer”, erinnert sich die 48-jährige EDV-Expertin. Ärzte entdeckten zwei Metastasen in der Leber. Noch vor 20 Jahren wäre dies einem Todesurteil gleichgekommen. Operationen an der Leber waren riskant und meist erfolglos. Auf damals vorhandene Medikamente sprachen Lebermetastasen kaum an.

Inzwischen verfügen Ärzte über präzisere Waffen gegen die bösartigen Tochtergeschwülste und den sehr viel selteneren Leberkrebs. Chirurgen schneiden gezielter und mit geringerem Risiko als früher. Chemotherapien sind effektiver geworden. Und es werden Laser oder Kältesonden eingesetzt, die das wichtige Organ retten sollen, das Nährstoffe speichert und das Blut reinigt. “Menschen mit Lebermetastasen müssen sich heute nicht mehr aufgeben”, sagt Xavier Rogiers, Leberchirurg am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf.

Gudrun Münchingers Metastasen wurden im März 1997 am Berliner Virchow-Klinikum mit Laserlicht zerstört. Bis heute sind keine neuen Krebsherde aufgetaucht. Ähnliche Erfolge bei anderen Patienten können vielen Menschen Mut machen. Denn fast die Hälfte aller Krebsarten sendet bösartige Tochtergeschwülste in die Leber, darunter die drei häufigsten: Lungen-, Darm- und Brustkrebs.

Vor allem bei Darmkrebs – er führt mit jährlich 50 000 Neuerkrankungen hiesige Krebsstatistiken an – streuen Krebszellen direkt über die Pfortader in die Leber. Die filtert sie aus dem Blut und verzögert so den Befall weiterer Organe. “Das ist für viele Patienten ein Glück”, sagt Xavier Rogiers, hier liege die Chance der modernen Chirurgie. Denn ist auch die Bauchhöhle befallen, wird die Operation sinnlos. Gleiches gilt, wenn das Organ durch eine Zirrhose vernarbt oder von vielen Krebsherden übersät ist.

Immerhin ein Fünftel der Darmkrebspatienten mit Lebermetastasen kommt für die Leberresektion infrage, bei der Ärzte die kranken Leberteile herausschneiden. “Theoretisch kann man in Deutschland zwei- bis dreihundert Patienten pro Monat operieren”, schätzt Matthias Lorenz, Leberchirurg an der Uni-Klinik Frankfurt am Main. Im Mittel verlängert die Operation ihr Leben um 12 bis 20 Monate. Viel wichtiger ist jedoch, dass ihre Chancen, die nächsten fünf Jahre zu überleben, also “geheilt” zu werden, von fast 0 auf 20 bis mehr als 30 Prozent gestiegen sind. “Es ist für die Patienten unglaublich wichtig, plötzlich wieder eine Hoffnung zu haben”, sagt Lorenz.

Dass diese Hoffnung wächst, hat viele Gründe: Moderne Bildtechniken wie Computertomografie und permanente Ultraschallkontrolle helfen, die Arbeit zu überwachen und die Diagnose zu verfeinern. Deutlich verbessert wurden auch Verfahren zur Blutgerinnung, die Anästhesie, Voruntersuchung und Nachsorge. “Noch vor fünf Jahren konnte man kaum in der Nähe einer Ader operieren. Heute ist praktisch jede Metastase entfernbar”, sagt der Hamburger Chirurg Rogiers. Gut zwei Drittel der Leber können die Mediziner heute entfernen. Viele Patienten sind bereits eine Woche nach dem Eingriff wieder zu Hause, und das Organ wächst binnen drei Monaten fast vollständig nach. Dennoch bleibt der Eingriff riskant: Die Sterblichkeitsrate ist zwar enorm gesunken, von 15 Prozent vor zwei Jahrzehnten auf knapp 3 Prozent, aber noch immer hoch. Komplikationen treten bei jeder fünften Leberresektion auf.

Manche Patienten schrecken deshalb vor der Operation zurück. Oder sie kommen für den gewagten Eingriff wegen körperlicher Gebrechen nicht infrage. Für diese Menschen, aber auch für solche mit kaum erreichbaren oder zu verstreut liegenden Krebsherden, erproben Ärzte derzeit viel versprechende risikoärmere Therapien: Die Kryotherapie tötet den Krebs per Schockgefrieren, Laser und Radiowellen vernichten ihn mit Hitze, und lokale Chemotherapie versucht, nur die Leber mit Krebsmedikamenten zu überschwemmen.

Noch müssen die Verfahren ihre Tauglichkeit in Langzeitstudien beweisen. Doch es zeichnet sich ab, dass sie sich gegenseitig ergänzen und mit der Leberchirurgie kombinierbar sind. Seit drei Jahren haben Chirurgen der Uni-Klinik Mainz bei 53 Patienten mit Lebertumoren die Kryotherapie getestet. Die Ärzte um Theodor Junginger führen ein bis sechs Millimeter dicke Sonden mitten in die Krebsherde und leiten flüssigen Stickstoff hinein. Die Sonden kühlen auf Minus 196 Grad ab, die Krebszellen auf mindestens 40 Grad unter null. Dabei platzen die meisten Zellen, und ein toter, tiefgefrorener Zellhaufen bleibt zurück. “Meist behandeln wir Patienten mit ein bis fünf Metastasen, die möglichst unter drei Zentimetern Durchmesser haben”, sagt Junginger. In Einzelfällen hat er bis zu 30 Krebsherde vereist.

Die Kryotherapie, weltweit bereits an 2000 Patienten getestet, ist für Junginger sowohl Alternative als auch Ergänzung zur Leberresektion: “Wenn das Operationsrisiko besonders hoch ist, kann man es mit der Kryotherapie versuchen”, und wenn Ärzte sehr viel Lebergewebe entfernen müssen, könnten sie einen Teil der Metastasen vereisen, statt sie herauszuschneiden.

Noch fehlen den Kryotherapeuten handfeste Beweise für die Vorteile ihrer Methode. Immerhin lebt von Jungingers Patienten nach zwei Jahren noch die Hälfte, ohne dass der Krebs zurückgekehrt ist, und bei dem Eingriff treten seltener Komplikationen auf. Vor allem aber eröffne die neue Methode 15 Prozent jener Patienten eine Heilungschance, die derzeit als nicht operabel gelten, sagt Junginger. Das wären hierzulande theoretisch mehr als 2000 Menschen pro Jahr. Die Kryotherapeuten in Homburg und Mainz planen nun, in einer Studie mit 150 Patienten ihre Methode mit der Resektion zu vergleichen.

Junginger hat aber auch schon manchen Patienten an den Frankfurter Radiologen Thomas Vogl weiterverwiesen. “Wenn jemand nur eine kleine Metastase hat, dann muss man nicht unbedingt die Bauchdecke öffnen”, sagt Junginger.

Vogl hat in Deutschland die größten Erfahrungen mit der Laserbehandlung von Lebermetastasen. Durch kleine Schnitte im Bauch schiebt er gut zwei Millimeter breite Lichtleiter in die Krebsherde hinein und beobachtet per Kernspintomograf, wie Laserlicht die Tumore verkocht. Die nur lokal betäubten Patienten gehen sechs Stunden nach dem minimal invasiven Eingriff nach Hause. Vogl “lasert” an der Frankfurter Uni-Klinik 60 Menschen pro Monat. Infrage komme, wer die “Fünfer-Regel” erfüllt: “Nicht mehr als fünf Metastasen, die nicht größer sind als fünf Zentimeter.”

Wie den Kryotherapeuten fehlen den Lasermedizinern langfristige und vergleichende Studien, die ihre Methode untermauern. Mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums soll die Lasertherapie nun bei 400 Patienten in mehreren deutschen Kliniken direkt mit der Resektion verglichen werden. Vogl vertraut auf seine Technik: “Obwohl wir meist schwerere Fälle haben als die Chirurgen, liegt die mittlere Überlebenserwartung unserer Patienten immerhin bei 38 Monaten.”

Und schon bekommen die Laser Konkurrenz. “In den USA ist es derzeit große Mode, Lebertumore mit Radiowellen zu zerkochen”, sagt Xavier Rogiers von der Uni-Klinik Eppendorf. Seine Mitarbeiter erprobten das Verfahren, das ähnlich wie ein Mikrowellenherd das Gewebe erhitzt, an 30 Patienten. “Bei kleineren Metastasen wirken die Radiosonden gut”, sagt Claus Brunken, der das Projekt betreut. Bei größeren Krebsherden gebe es nur Teilerfolge. Gerade deshalb ist es laut Brunken wichtig, dass Krebskranke, deren Haupttumor entfernt wurde, regelmäßig zur Nachsorgeuntersuchung gehen. “Je früher wir Lebertumore entdecken, desto besser können wir sie behandeln.”

Welche Therapie künftig dominieren wird, wissen die Ärzte noch nicht. Es gibt weitere Kandidaten: Gegen Leberkrebs hilft die Injektion von Alkohol in die Geschwulst, und Lebermetastasen sprechen oft gut auf Therapien mit neuen Medikamenten an, die auch in die Pfortader oder direkt in die Tumore gespritzt werden – und sich zudem mit Operation, Laser und Kältesonde kombinieren lassen.

In Hamburg will man demnächst dem Krebs mit so genannten Angioneogenese-Hemmern die Blutzufuhr abschnüren. Und Experimente mit Mäusen legen nahe, dass in ferner Zukunft auch die Gentherapie Erfolg bringen könnte.
© Peter Spork

<< zurück